Warum von Just-in-Time auf Just-in-Case mit Digitaler Transformation umstellen?

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Just-in-Time wird durch Just-in-Case ablöst, vermeldeten in den letzten Tagen zahlreiche Zeitungen und Magazine.

In den letzten zwei Jahren haben verschiedene Ereignisse dazu geführt, dass europäische Unternehmen und vor allem aber deutsche Unternehmen langsam beginnen ihre Einkaufsstrategien zu überdenken. Exogene und endogene Faktoren bedrohen Lieferketten und damit indirekt den Produktionsstandort Europa im Generellen und den Produktionsstandort Deutschland im Speziellen. Beispielhaft zu nennen sind:

  1. Unkalkulierbare Pandemien und Infektionsverläufe, wie z.B. die Corona- und die gerade aufkeimende Affenpocken-Infektionen
  2. Massive innenpolitische Veränderungen in einigen europäischen Ländern mit neuen Zielen und neuen Doktrinen
  3. Überfallkriege
  4. Eine neue politische Polarisierung zwischen den USA und Russland sowie den USA und China
  5. Unfälle auf etablierten Handelsruten, wie z.B. die Suez-Kanal-Blockade
  6. „Privatisierung“ neuer Handelsruten, wie z.B. die Neue Seidenstraße
  7. Unbeachtete politische Veränderungen in Afrika und Südamerika
  8. Unbeachtete politische Veränderungen in China, der sog. Werkbank der Welt
  9. Fehlende Expertisen über die politische, geopolitische und wirtschaftliche Neuausrichtung Chinas in den Regierungen und Unternehmen

Was, wenn Lieferketten weiter zusammenbrechen?

„Geiz ist geil!“ und „Billig, billig, billig“ sind nach wie vor Doktrinen in vielen Wirtschaftsbereichen, vor allem aber in der öffentlichen Verwaltung und ganz besonders in den Köpfen vieler privater Verbraucherinnen und Verbraucher, die ihre Einstellung oftmals in ihre berufliche Wirklichkeit mitnehmen.

Diese Einstellung der Menschen und der Regierungen, die keine Ader für die Entwicklung Chinas hatten und aktuell auch nicht haben, sowie viele kleine Faktoren mehr, haben dazu geführt, dass europäische Unternehmen in die wirtschaftliche Zukunft Chinas investierten und Produktionen von Europa nach China verlegten. Nicht nur teure Arbeitskräfte wurden in Europa abgebaut, sondern vor allem fand ein Exodus an fachlichem Wissen und Patenten statt.

Die Lieferketten brechen teilweise zusammen

Weil trotz aller Warnungen von Expertinnen und Experten besonders viele Produktionen aus Europa nach China verlegt wurden, mussten gesicherte Lieferketten aufgebaut werden, die eine kostengünstige Just-in-Time-Produktion in Europa für die eigentlichen Endprodukte garantierte.

Durch die zuvor genannten neun Faktoren werden diese Lieferketten jedoch gefährdet und in vielen Fällen sogar unterbrochen oder brechen vollständig zusammen, was aktuell in Shanghai zu sehen ist.

Infografik: Stau vor Shanghai | Statista
Mehr Infografiken finden Sie bei Statista

„Industriepräsident Siegfried Russwurm sagte der Deutschen Presse-Agentur in Berlin: ‚Die deutsche Industrie befürchtet in den kommenden Wochen gestörte Produktionsabläufe. Betroffen sind vor allem Branchen, die auf Rohstoff- oder Bauteillieferungen sowie den Versand ihrer Fertigprodukte über Seetransporte angewiesen sind.‘“ meldete das Internet-Portal Statista am 28. April 2022 mit Verweis auf die Schiffe, die aktuell vor Shanghai liegen und nicht abgefertigt werden.

Just-in-Case - Sofortmaßnahmen am Unfallort

 

Nach Auffassung meiner Frau, Renate Sattler, ehemalige Vorsitzende der Außenhandelskammer für Süd- und Südwest-China in Guangzhou, China, und vieler Expertinnen und Experten muss die europäische Wirtschaft von Just-in-Time-Prozesse auf Just-in-Case-Prozesse umstellen. Dabei kann Just-in-Time ein Teil von Just-in-Case sein.

 

Folgt man der Internet-Seite Theidioms.com, so bedeutet Just-in-Case „vorsorglich etwas tun“ oder „sich auf etwas einzulassen, das als Alternative gedacht ist, falls das Original nicht funktioniert“.

 

Das heißt im konkreten Fall, dass Gegenmaßnahmen für den Fall einer Lieferketten-Unterbrechung zu ergreifen sind. Das könnte Folgendes sein:

 

  1. Bevorratung mit Rohstoffen und Halbzeugen – Bei VW fehlten vor einigen Jahren Handschuhfachklappen für den Passat, weil eine Fabrik für Handschuhklappen abgebrannt war.
  2. Aufbau von Parallel-Produktionen für Produkte aus China in Europa und dann Reduzierung der Abhängigkeit der europäischen Wirtschaft von China.
  3. Akzeptanz von höheren Fertigungskosten und damit Preiserhöhungen bei den Endprodukten. – Die Produktion von FFP2-Masken wurde in Europa hochgefahren, um dann aus Kostengründen wieder in China zu kaufen.

Stellten europäische Unternehmen ihre Produktion von Just-in-Time auf Just-in-Case um, so bedeutet das neue Risiken, neue Strategien, neue Produktionen, neue Rohstoffbeschaffungen u.v.m., auch wenn China bereits große Teile des Rohstoffmarktes in Afrika und Südamerika kontrolliert.

 

Um die Risiken dieser Umstellung zu minimieren, können Mechanismen und Lösungen aus der Digitalen Transformation helfen.

 

Wie kann die Digitale Transformation dabei helfen?

Nehmen wir Daten aus den bisherigen Produktionen eines Unternehmens, das Genialste wären Daten aller Unternehmen einer Branche aus deren bisherigen Produktionen, dann wären mit den Mechanismen der Statistik und Stochastik (Wahrscheinlichkeitsrechnung) sowie den Big-Data-Methoden detaillierte Prognosen zur Senkung von Risiko und zur Steigerung von Verfügbarkeiten möglich.

Ein Shutdown, wie von Industriepräsident Siegfried Russwurm prognostiziert, könnte nahezu ausgeschlossen werden und die europäische Wirtschaft wäre deutlich robuster gegen Störungen jeglicher Art gewappnet.

Autor

Claus Michael Sattler ist Berater und Interim-Manager, Buchautor und Keynote-Speaker sowie Hochschuldozent für „Digitalisierung, Digitale Transformation, Industrie 4.0, Referenzarchitekturmodell Industrie 4.0 (RAMI 4.0), Industrial Internet of Things (IIoT) und Made in China 2025“. Er dozierte und doziert u.a. am International Graduate Center (IGC) der Hochschule Bremen City University of Applied Science (HSB), am International Institute for Management Development (IMD), Lausanne, Schweiz, an der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar bei Koblenz, Deutschland.

Dr. Claus Michael Sattler

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